Gerichtsverhandlungen sollen häufiger als bisher über Videokonferenzen stattfinden. In solchen – dafür geeigneten – Verfahren müssen die Parteien dann nicht mehr den Weg ins Gericht antreten. Sogar Vorsitzende Richterinnen und Richter sollen die Verhandlung aus dem Homeoffice führen dürfen. Das ist keine Zukunftsmusik, sondern fast beschlossene Sache. So hat der Bundestag am 17. November 2023 das Gesetz „zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten“ beschlossen. Allerdings ist es keinesfalls sicher, ob das Gesetz die Hürde im Bundesrat am 15. Dezember 2023 nehmen kann. Nach Ansicht des Rechtsausschusses des Bundesrats soll dieses Gesetz neben dem Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz im Vermittlungsausschuss beraten werden.
Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) setzt sich derzeit vehement für die Neuerungen ein, in deren Mittelpunkt die Novellierung des § 128a Zivilprozessordnung steht. Diese Vorschrift gestattet Verhandlungen auch „im Wege der Bild- und Tonübertragung“. „Wir brauchen diese Neufassung von §128a ZPO!“, fordert BRAK-Präsident Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels. „Wenn über die physische Präsenz vor Ort flexibler entschieden werden kann, werden Verfahren schneller, kostengünstiger und ressourcenschonender.“
Zunächst hatte die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) noch zu einigen Punkten im Referenten- und Kabinettsentwurf ihre Bedenken geäußert - wir haben darüber berichtet.1 Diese sind in der nun beschlossenen Gesetzesfassung jedoch aufgegriffen und umgesetzt worden. So kann das Gericht in geeigneten Fällen eine Videoverhandlung gestatten oder auch anordnen. Eine Partei, die dagegen ist, kann jedoch Einspruch einlegen und darf auch in Präsenz verhandeln, während die andere Partei nach wie vor über Video teilnimmt. Diese Möglichkeit war im Referentenentwurf nicht vorgesehen. „Diese Änderung ist zu begrüßen, weil dadurch verhindert wird, dass eine Partei die andere aus verhandlungstaktischen Gründen in die Präsenzverhandlung zwingt“, sagt Sabine Fuhrmann, Rechtsanwältin aus Leipzig und Vize-Präsidentin der BRAK. Sie wurde als Expertin im Rechtsausschuss zu diesem Thema angehört.
Künftig muss das Gericht auch in jedem Einzelfall begründen, wenn es eine Videoverhandlung ablehnt, obwohl es sich die Parteien anders wünschen. Der Referentenentwurf sah noch vor, dass sich die Parteien der Anordnung des Gerichts in jedem Fall hätten fügen müssen. Eine solche Regelung hätte aber impliziert, dass Anwalt- und Richterschaft als Organe der Rechtspflege nicht auf Augenhöhe miteinander verhandeln, hatte die BRAK kritisiert.
Weiter als noch im Referentenentwurf vorgesehen, geht das Gesetz nun in dem Punkt, der die Anwesenheit der Richterinnen und Richter im Gerichtssaal betrifft. Künftig dürfen auch sie an einem anderen Ort die Verhandlungen führen, sofern sie den Fall dafür geeignet halten und alle anderen Verfahrensbeteiligten per Video zugeschaltet sind. Selbst das Urteil dürfen sie aus dem Homeoffice fällen und verkünden. Um das Prinzip der Gerichtsöffentlichkeit zu wahren, sollen die Videoverhandlungen dann in einen öffentlich zugänglichen Raum im Gericht übertragen werden.
In der parlamentarischen Debatte über das Gesetz gab es auch kritische Stimmen, die befürchteten, dass Ansehen und Würde des Gerichts darunter leiden könnten, wenn die Richter und Richterinnen aus ihrem Homeoffice statt im Gericht verhandelten. Auch die Länderjustizminister haben in diesem Zusammenhang ihre Bedenken geäußert. Die Sichtbarkeit des Rechtsstaates sei wichtig, betont auch Fuhrmann. Die gesetzlichen Neuerungen dürften nicht dazu führen, dass Gerichtsgebäude nach und nach umgewidmet werden und somit aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. Allerdings stellen ihrer Ansicht nach Verkündungstermine per Ton- und Videoübertragung eine wichtige Erleichterung dar, die dazu beitragen kann, dass ein Urteil mehr Akzeptanz bei den Parteien erfährt. „Es ist etwas anderes, wenn die Parteien den Urteilsspruch direkt von der Richterin oder dem Richter hören, als wenn sie es schriftlich zugestellt bekommen, wie es heute meistens der Fall ist“, sagt sie. „Ich hoffe, dass die Gerichte die Möglichkeit des Verkündungstermins im Wege der Ton- und Videoübertragung häufig nutzen werden.“
Zu einem wichtigen Punkt, der für den Erfolg der Videokonferenzen im Gerichtsalltag, eine entscheidende Rolle spielt, sagt das Gesetz jedoch nichts: die Technik. Derzeit herrscht bundesweit noch ein bunter Flickenteppich an verschiedenen Videokonferenzsystemen. Teilweise würden diese sogar innerhalb eines Bundeslandes und nach Fachgerichtsbarkeit variieren, berichtet Fuhrmann. Das stelle die Anwaltschaft vor große Herausforderungen. „Wir benötigen auf jeden Fall ein bundeseinheitliches System für die Gerichte“, sagt sie. Bestrebungen, ein solches System auf den Weg zu bringen, gibt es. Ob ausreichend Mittel aus dem Digitalisierungstopf für die Justiz auch vorhanden sein wird, ist eine andere Frage.
Soldan bietet mit Kanzleidialog bereits seit 3 Jahren eine sichere und einfach zu bedienende Videokonferenzlösung für Kanzleien an.2 Die Software Basis ist ein Open Source Code und jegliche Dienstleistung bis hin zum Rechenzentrum ist in Deutschland ansässig. So werden einerseits 100% Transparenz und andererseits DSGVO- und berufsrechtliche Konformität sichergestellt.
Anke Stachow ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt „Recht und Steuern“. Seit Anfang 2015 schreibt sie für Soldan regelmäßig über Themen, die Anwälte und Steuerberater interessieren. Anke Stachow hat viele Jahre als Redakteurin für die Financial Times Deutschland und die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet.