Aktuelle BGH-Entscheidungen und jüngste Systemausfälle des elektronischen Rechtsverkehrs in der Justiz zeigen deutlich: Die elektronische Aktenführung und das beA erfordern besondere Aufmerksamkeit bei der Kanzleiorganisation und bringen weiterhin erweiterte Sorgfaltspflichten mit sich.
Wir beleuchten nachfolgend einige Beispiele:
Systemausfälle als Realität der Digitalisierung in der Justiz:
Die jüngsten – teilweise vollständigen – technischen Ausfälle der elektronischen Akte in Bayern, bei denen Anträge wieder per Fax eingereicht werden mussten, verdeutlichen, dass die Stabilität des elektronischen Rechtsverkehrs immer noch problembehaftet ist (250317_Ausfaelle_IT-Systeme_StMJ.pdf *). Solche Störungen können unverschuldet zu Fristversäumnissen führen und stellen Anwälte vor organisatorische Herausforderungen, vor allem, wenn sie für diese Art Ausfälle nicht gerüstet sind.
Aktuelle BGH-Rechtsprechung zum beA:
Signaturanforderungen präzisiert
Der BGH hat in zwei aktuellen Beschlüssen die Anforderungen an die elektronische Signatur konkretisiert:
XII ZB 538/23 vom 03.07.2025: Ein über das beA eingereichter Schriftsatz ist unwirksam, wenn er von einem anderen Rechtsanwalt verfasst, aber nicht qualifiziert elektronisch signiert wurde. Die bloße Einreichung durch den Postfachinhaber genügt nicht. Diese Entscheidung baut auf die folgend genannte auf.
IX ZB 30/23 vom 28.04.2024: Hingegen ist es ausreichend, wenn innerhalb einer mandatierten Anwaltssozietät ein Mitglied den von einem Kollegen einfach signierten Schriftsatz qualifiziert elektronisch signiert und einreicht. Ein klarstellender Zusatz („für") ist dann nicht erforderlich. Das seinerzeitige Landgericht – hier das LG Koblenz – ging fälschlicherweise davon aus, dass der Umstand, dass beide Rechtsanwälte Mitglied dergleichen Sozietät seien, unerheblich sei. Der BGH stellt klar, dass durch die Einreichung eines elektronischen Dokuments mit der qualifiziert elektronischen Signatur eines Rechtsanwalts dieser – mithin nicht anders als bei einer handschriftlichen Unterzeichnung eines Schriftsatzes – die Verantwortung für dessen Inhalt trägt und daher verantwortende Person im Sinne von § 130a Abs. 3 Fall 1 ZPO ist. Anders als im Strafrecht – wo die Erteilung einer Untervollmacht durch den Verteidiger unwirksam ist – kann von einer ordnungsgemäßen Vertretung ausgegangen werden, wenn ein sozietätsangehöriger Rechtsanwalt den Schriftsatz des bevollmächtigten Rechtsanwalts mit seiner qualifiziert elektronischen Signatur versieht.
Diese Entscheidungen zeigen: Die korrekte Nutzung des beA ist unumgänglich. Vor allem die Vertreterverhältnisse müssen ordnungsgemäß hinterlegt und im Zweifel dokumentiert sein.
Verschärfte Anforderungen an die Fristenbearbeitung:
Parallel verweist der BGH in aktuellen Beschlüssen die Rechtsanwälte nach wie vor auf die Sorgfaltspflichten bei der Fristenbearbeitung:
VIII ZB 54/24 vom 17.06.2025: Der BGH konkretisiert die organisatorischen Vorkehrungen zur Vermeidung möglicher Fristversäumnisse. Neben der korrekten Kalendereintragung sind Erledigungsvermerke in der Handakte und die richtige Reihenfolge der Eintragungen (erst Fristenkalender, dann Handakte) erforderlich. Zudem müssen in einer Kanzlei allgemeine Anordnungen im Wege organisatorischer Vorkehrungen zur Vermeidung möglicher Fristversäumnisse getroffen werden. Vorfristen sind, jedenfalls bei solchen Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungsfristen der Fall ist, mit mindestens etwa einer Woche einzutragen. Sie können die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist.
VI ZB 36/24 vom 25.02.2025: Auch hier konkretisiert der BGH, dass der Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen hat, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Fristen beim zuständigen Gericht eingeht. Eine Bürokraft sei daher anzuweisen, ggf. anhand der Akten zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze auch abgesandt worden sind. Allgemeine Erklärungen zur Ausgangskontrolle („vor Büroschluss wird kontrolliert, ob alle Fristensachen erledigt sind") genügen nicht. Es müssen spezifische, den BGH-Anforderungen entsprechende Kontrollmechanismen nachgewiesen werden. Hierzu hat der Rechtsanwalt in seiner Kanzlei das zuständige Personal dahingehend anzuweisen, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu kontrollieren ist. Von einer erfolgreichen Übermittlung eines Schriftsatzes per beA an das Gericht darf der Rechtsanwalt ausgehen, wenn in der Eingangsbestätigung im Abschnitt „Zusammenfassung Prüfprotokoll“ der Meldetext „request executed“ und unter dem Unterpunkt „Übermittlungsstatus“ die Meldung „erfolgreich“ angezeigt wird. Erhalt und Inhalt der Eingangsbestätigung sei nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs daher stets zu kontrollieren. Erst danach dürften Fristen „als erledigt“ gekennzeichnet werden.
Fazit:
Die aktuelle Rechtsprechung macht deutlich: Die Digitalisierung der Justiz entbindet nicht von Sorgfaltspflichten, sondern erweitert diese gegebenenfalls. Anwälte müssen ihre Kanzleiorganisation an die technischen und rechtlichen Anforderungen anpassen. Dies umfasst sowohl die korrekte Nutzung des beA, als auch präzise Fristenkontrollen mit dokumentierten Sicherheitsmechanismen. Wer diese ignoriert, riskiert nicht nur Fristversäumnisse, sondern auch haftungsrechtliche Konsequenzen. Fest steht, Wiedereinsetzungsanträge halten fehlerhaften Vorkehrungen nicht stand.
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Fußnote:
Wendy Böker ist seit Juni 2023 bei Soldan als Produktmanagerin im Bereich Business Development, Legal Tech und Services zuständig. Sie betreut dort den Bereich Software on Premise. Vor ihrer Zeit bei Soldan war sie langjährig in Rechtsanwaltskanzleien als geprüfte Rechtsfachwirtin in ihrer Funktion als Bürovorsteherin tätig. Die Weiterbildung zur geprüften Rechtsfachwirtin hat sie in Oldenburg über die Soldan Akademie absolviert. Im Januar 2024 hat sie ihr Studium zur Assessorwirtin jur. (FSH) erfolgreich abgeschlossen.